Die Schlagzeilen:
turbo-Look, aber kein turbo: anstelle des 3.6 Liter großen Einzelladers mit K-Jetronic ein moderner egmo-Saugmotor mit 3.800 ccm Hubraum
RSR-Optik, aber kein Doppelspalt-Flügel: Anleihen bei den modifizierten 964ern im ADAC-GT-Cup anno 1993 und der belgischen Belcar-Meisterschaft
Überrollkäfig, aber kein Komfortverlust: gewichtsoptimiertes und dennoch vollwertiges Interieur mit unverkennbaren Tracktool-Ambitionen
„Vielleicht ist das Öhlins-Fahrwerk der Kernaspekt dieses an den RSR von 1993 angelehnten Projekt-Umbaus“, findet Urs Erbacher, der sich als sechsfacher Europameister in der „Top Fuel“-Kategorie einen Namen in der Dragster-Szene machte. Inzwischen setzt seine Tochter Jndia diesen Weg fort, mit 513,31 km/h ist die junge Schweizerin die schnellste Frau auf dem Kontinent. Ihr Vater Urs verlagerte seine Interessen mehr und mehr in Richtung Porsche, und das nicht nur geschäftlich. Für sich selbst wollte er einen roten 964er des Modelljahrgangs 1990 aufbauen, um zunächst bei Trackdays in Erscheinung zu treten. Eigentlich schwebte ihm damit der Einstieg in die Youngtimer-Szene vor, nachdem er bereits mit einer Chevy Corvette an der YTCC eines niederländischen Promoters teilgenommen hatte. Und so besorgte er sich ein Fahrwerk des schwedischen Herstellers Öhlins. Die Skandinavier haben ihre Ursprünge in der Motorrad-Weltmeisterschaft, was sich an einem Detail am allerbesten zeigt. Die Verspannung der Schraubenfedern lässt sich individuell einstellen, ebenso die Zug- und Druckstufe der in der Höhe justierfähigen Stoßdämpfer. „Der Vorteil liegt darin, dass das Fahrwerk nicht poltert, wenn man über Bodenwellen rollt oder auch die Hebebühne ablässt“, erklärt Urs Erbacher. „Hier poltert gar nichts, zudem sehen die Domlager nicht aus wie ein farbenfroher Gruß aus den neunziger Jahren – und das Handling ist ausgesprochen kompakt, das passt eben auch.“
Dass Urs Erbacher sich als Sportwagen-Couturier positioniert hat und auffallend ausgewogene Akzente setzt, zeigt über den neu justierten Höhenstand hinaus auch die Gesamtansicht des Neunelfers der frühen Modelljahre der Generation 964: eine Ausführung ohne werksseitige Zylinderkopfdichtung, dazu später mehr. Die Kombination aus RSR-breiten Kotflügeln – vorne aus Karbon, hinten aus Stahlblech – in Verbindung mit entsprechenden Stoßfängern und einer flach nach hinten auslaufenden Heckflosse in den Grundzügen des seltenen turbo S mutet wie ein Langstrecken-Renner aus der belgischen Betcar-Serie anno 1993 an, als viele Teams ihre Boliden in eigener Regie aus Cup-Fahrzeugen aufbauten und mit Erfolg bei den 24-Stunden-Rennen in Zolder und ganz besonders in Spa-Francorchamps einsetzten. Patrick Zimmermann von dp Motorsport besann sich dieser besonderen Konstellation vor einigen Jahren und realisierte in den gleichen Proportionen einen (Zitat) „Federleichten Elfer“, ein Leichtgewicht mit leer 1.035 Kilogramm in Sonnengelb. Urs Erbacher gibt gerne zu, von seinem deutschen Lieferanten inspiriert worden zu sein. Er erklärt: „Da war es dann Pflicht, die nachgerüsteten Bremsbelüftungs-Einsätze vorn in der Original-Porsche-Bugschürze tatsächlich in Funktion zu setzen und es nicht einfach nur danach aussehen zu lassen. Außerdem habe ich statt des Klimakühlers einen zweiten Ölkühler installiert, um volle Kontrolle über die Thermik des Motors zu haben – und der ist von ursprünglich 3.6 Liter auf 3.8 Liter Hubraum angewachsen.“
Aber nicht nur das, wie Triebwerkspartner Lothar Rothenheber von der Eggenberger Motorenbau AG in Lyss, kurz egmo, zu berichten weiß: „Wir mussten zunächst einmal die Lagerflächen der Original-Zylinderköpfe planen, werksseitig befindet sich dort anstelle der herkömmlichen Kopfdichtung nur ein Bund, eine Passung. Die war nach dem Neuaufbau des Aggregats aber nicht mehr vorgesehen“, stellt er fest. „Im nächsten Schritt haben wir das Serien-Kurbelgehäuse gereinigt, die Kurbelwellen-Hauptlagergasse vermessen und neu gerichtet, worauf die Aufarbeitung der unansehnlich gewordenen Motorverblechung und des Kühlgebläse-Lüfterrades folgte. Wir haben nichts weggeworfen, sondern im Interesse der Nachhaltigkeit neu pulverbeschichten lassen.“ Ein neuer Mahle-Kolben- und Zylindersatz mit größerem Fassmaß erweiterte den Hubraum von 3.600 ccm in der Serie auf 3.800 ccm, die mechanische Bearbeitung der Kanalführung optimierte die Strömungsverhältnisse in den Zylinderköpfen. Mit 314 PS bei 6.450/min, auf dem egmo-Leistungsprüfstand verifiziert, ist die Kraft des ursprünglich 250 PS leistenden Original-Saugmotors mit der Kennung M64.01 nicht überbordend angewachsen. Was dagegen aus dem Rahmen fällt, ist der Anstieg des maximalen Drehmoments auf 395 Newtonmeter bei 5.310/min. Zurückzuführen ist das auf die sorgfältige Abstimmung des in den Zustand zur Stunde null zurückgeführten Aggregats, das an ein gleichsam revidiertes Fünfgang-Original-Schaltgetriebe des Urtyps G50 angeschlossen ist.
„Trackdays, Sportfahrertrainings – das war zunächst die Zielsetzung“, fasst Urs Erbacher zusammen. „Einige Design-Ansätze im Interieur, die schwarze Leichtbau-Ausstattung oder der Heigo-Schraubkäfig waren schon vorhanden, als ich das Basisfahrzeug angekauft habe mit der Maßgabe, es weiter zu verfeinern.“ Patrick Zimmermann brachte sich auch im Wageninneren ein: Der Schalthebel ist wie im dp-935 II so weit wie möglich nach oben verlegt, um den Weg vom Momo-Volant knapp zu halten. Das nur mäßig geschüsselte Lenkrad des Typs „Prototipo“ und die Recaro-Profilschalensitze mit einer Bezugsstoff-Kombination aus Leder und Alcantara sind weitere Ingredienzen des straßenzugelassenen Sportgeräts – das anschließend nicht zum Einsatz kam, sondern gleich verkauft war. Wie sich das ergab? Urs Erbacher, sein Erstaunen über die Geschichte ist ihm anzumerken, erzählt: „Da kam ein Porsche-Enthusiast des Weges, sah dieses Auto – und ließ nicht mehr locker. Er wollte es für sich haben, unbedingt. Ich habe dann meinen Preis gesagt und umgehend eine Zusage erhalten. Da musste ich dann für mich nach einem anderen Sport-Elfer Ausschau halten, den ich schließlich auch gefunden habe und der im September des vergangenen Jahres bei Arosa Classic Car erstmals gestartet ist“.
Übrigens ist das auch so ein federleichtes Modell wie das Sonnengelb leuchtende Vorbild von Patrick Zimmermann. Im Historical Technical Passport, kurz HTP, ist ein Mindestgewicht weit unter 1.000 Kilogramm angegeben. Gut – für ein G-Modell des Jahrgangs 1974, gemäß FIA-Gruppe 4 aufgebaut. „Und das“, weiß der Eidgenosse zu berichten, „ist dann noch einmal eine ganz andere, eigene Welt.“ Fazit: Ein Tracktool sollte sein „indisch“-roter Erbacher 64 Big Red sein, wie ein turbo aussehen, aber kein turbo 3.6 sein – der Motorcharakteristik wegen. Daran erfreut sich nun der heutige Besitzer. Er hat ein Einzelstück an Land ziehen können, das im Portfolio der Neunelfer-Projekte made in Dornach einen besonderen Platz einnimmt – und es hat, wie der Name schon vermuten lässt, „Big Reds“ vorzuweisen: jene gleichfarbig lackierten, leistungsstarken Bremszangen des 911 turbo 3.6. Auch sie sind nachgerüstet worden, um im Extrembereich Fahrspaß und Sicherheit miteinander vereinen zu können. So ist sichergestellt, dass die automobile Schönheit noch lange das bleibt, was sie ist: eine mit Fingerspitzengefühl komponierte Augenweide.
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