Custom Cases | 9/11 masterclass
2023er Erbacher-Porsche 911 #Project5 (Typ 964), egmo 4.3 Liter
„Wir haben da mal ein fröhliches Auto gebaut!“
Wild thing: Schweizer Brauchtum an Allerheiligen, Halloween 2023 à la Erbacher.
Halloween in Dornach, Lyss und Zurich: Da geht es nicht unbedingt um die Schweizer Version von „Süsses oder Saures?“, sondern vielmehr um eine neue Farbkombination. Pünktlich zur „Auto Zürich“ in der gleichnamigen Messe präsentiert Urs Erbacher eine gewagte Farbkombination: „Maritimblau“ von außen, kombiniert mit teuflischem Rot im Wageninneren. Moment mal! Geht es im Spätherbst nicht um Gruselgestalten, um Hexen, Skelette und Gespenster, ist das alles nur Zufall? Der neueste 964er-Restomod aus der Schmiede des sechsfachen Dragster-Europameisters macht auf scheinbar harmlos bis unschuldig, ja fröhlich. So ganz nebenbei bildet Nummer 5 den Stand der Dinge im Formen- und Motorenbau ab – zumindest in der helvetischen High-End-Liga. Aber tief im Innersten der mehr als 400 Pferdestärken mobilisierenden Schönheit liegt etwas Ungestümes, Wildes: „Wild thing, you make my heart sing. You make everything groovy, Wild thing.“
Schweizer Brauchtum am Abend vor Allerheiligen – was würde Ihnen dazu einfallen? Vielleicht eine besinnliche Einkehr bei Lothar Rothenhebers Eggenberger Motorenbau AG, kurz egmo, um schon am nächsten Tag in der Messe Zürich eine Fahrzeugpremiere zu begleiten? Ja, diese Vorstellung ist so reizvoll wie außergewöhnlich. Also passiert genau das an Halloween 2023, um den letzten Schliff an einem Erbacher-911 mit 4.3-Liter-Treibsatz der nächsten Entwicklungsstufe zu dokumentieren. Ein Vierteljahr zuvor ist bereits am egmo-Standort in Lyss im Berner Seeland die Schlussphase des Neuaufbaus in Augenschein genommen und die handwerkliche Detailliebe gewürdigt worden, mit der die allerneueste Backdate-Schönheit aus der Manufaktur des sechsmaligen Dragster-Europameisters umgesetzt worden ist: ein Neufahrzeug im klassischen Gewand, ein Innovationsträger voller faszinierender Detaillösungen. Genau das macht seit mehr als einem Jahrzehnt den Spannungsbogen des Backdatings aus, das nur äußerlich ein Rückschritt ist, im Inneren jedoch oft genug das Gegenteil darstellt. Diesen Widerstreit verdeutlicht im vorliegenden Fall das Zusammenspiel von Außen- und Innenfarbe. Während die geschwungene Außenhaut in „Maritimblau“ an die Porsche-Herrlichkeit der frühen neunziger Jahre erinnert, deutet das Interieur in teuflischem Rot tief im Verborgenen liegende, vielleicht sogar abseitige Charakterzüge an. Bei der renommierten „Auto Zürich” soll das, was Urs Erbacher als ein „fröhliches Auto“ beschreibt, vor Publikum vorgestellt werden. Dabei wissen die Beteiligten, dass nicht nur die internationale Journaille durch die lichtdurchfluteten Hallen flaniert, sondern auch reichlich junge wie bewährte Potenzialkundschaft. Der Termin ist von höchster Wichtigkeit und entsprechend stringent strukturiert. Die Anlieferung der Exponate erfolgt am Morgen von Allerheiligen in einem minutengenau festgelegten Zeitraster. Und alle halten sich in größter Genauigkeit daran – ganz gleich, ob sie eine Halle zu illuminieren gedenken oder ein Areal, auf dem zwei fahrbereite Sportwagen und eine lackierte Rohbau-Karosserie ihren Platz finden. Für Letzteres haben sich Rothenheber und Erbacher entschieden, die langjährigen Partner gestalten ihren Auftritt wie immer gemeinsam. Und sie wissen: Vor zwei Jahren hat die Geschichte des „fröhlichen Autos“ genau hier ihren Lauf genommen. Dazwischen liegen einige tausend Arbeitsstunden und auch ein weiteres Stück Grundlagenforschung.
In der Zürcher Messehalle 6, die den (automobilen) Klassikern vorbehalten ist, kommt es zu einem Wiedersehen mit dem „Sahara”-beigen Erbacher-911 mit Schweizer MFK-Segen, sprich: TÜV, der beim 19. Arosa Classic Car im Schweizer Kanton Graubünden für Furore gesorgt hat – als regulärer Starter im Teilnehmerfeld des Bergrennens von Langwies nach Arosa, dem mondänen Wintersportort auf 1.775 Metern Meereshöhe. Auf den Tag genau zwei Monate ist das her, und nicht nur das makellose Lackbild hat sich bewährt. Nicht ein mikroskopischer Steinschlag trübt die Freude an der erneuten Begegnung. Motorenspezialist Rothenheber inspiziert während der minutengenauen Einweisung in die Stellfläche mit Argusaugen die Rückseite des „Entenbürzel“-Coupés, das in Arosa von Urs Erbacher höchstselbst ins Ziel pilotiert worden ist. Kein Ölfleck ist seinem 4.3-Liter-Hochleistungsmotor in seiner derzeit höchsten Entwicklungsstufe zu entlocken, etwas anderes hat er auch nicht erwartet. Das Aggregat mit dem pompösen Karbon-Luftsammler hoch über dem Kühlgebläse-Lüfterrad stellt den augenblicklichen Entwicklungsstand dar. Noch sind die angepeilten 100 PS Literleistung nicht erreicht, das wären in Summe 430 Pferdestärken. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass die letzten zehn PS bis zum großen Ziel in Angriff genommen worden seien. Die Frage, wie die schlussendlich marginale Lücke zu schließen sei, wollen Lothar Rothenheber und sein Geschäftspartner Nick Portenier schon bald beantworten. An Ideen mangelt es ihnen nicht, und ihr Mantra erinnert an die Erzählungen hinter den verschlossenen Türen der Supertourenwagen-Ära von 1994 bis 1999, als die beteiligten Autohersteller versuchen mussten, mit mickrigen zwei Litern Hubraum zurechtzukommen. Damals wie heute lautete die Devise: „Widerstände reduzieren!“ Das konnte sich auf spezielle Schmierstoffe im Antriebsstrang beziehen, die manche Zulieferer eigens formulierten oder auf Blechteile, die von Fachbetrieben in stundenlanger Feinarbeit in ihre Form getrieben werden mussten. Heute geht es da schon eher um andere Paradigmen, um reduzierte Widerstände im elektrischen Kabelbaum oder um die Ölströme im Inneren des Motors. Effizienzsteigerung lautet das Zauberwort, und das kommt besser bei den Menschen an als die Inszenierung des nächsten X-beliebigen Steckdosenautos auf der Retorte. Ein Leser des Schweizer Online-Magazins Blick bringt die Stimmungslage in den Tagen nach der „Auto Zürich“ auf den Punkt: „Die Highlights der Neuwagenmesse sind die Oldtimer. Was für eine Ironie.“
In den (h)eiligen Hallen, auf geschichtsträchtigem Grund und Boden, wo schon Mitte der achtziger Jahre Ruedi Eggenbergers Werks- und Siegerwagen für die Tourenwagen Europameisterschaft vorbereitet worden sind, ist mehr zu sehen, als das menschliche Auge erfassen kann. Da gibt es zum Beispiel gleich neben den Prüfständen auch einen Zylinderschleifraum, in dem es um so profane Dinge wie Späne oder Schleiföl geht. Es riecht auch entsprechend, und genau hier soll es neben den Entwicklungspotenzialen des 4.3-Liters darum gehen, was so ein High-End-Verbrenner eigentlich konsumieren könnte, wenn eine Alternative zu fossilen Energieträgern gefordert sein sollte. Für Rothenheber und Portenier ist das kein Dogma, zumal in Arosa – bei einer Oldtimer-Veranstaltung, ausgerechnet – ein synthetisch erzeugter Kraftstoff vorgestellt worden ist, der auf Anhieb funktioniert hat. „Natürlich können wir uns vorstellen, uns dieses für die Zukunft wichtigen Themas zu gegebener Zeit anzunehmen“, sagen sie unisono. Und auch Urs Erbacher weiß, dass seine Kundschaft einen offenen Blick auf die Welt pflegt – nicht ahnend, dass sein „Sahara”-beiges Leichtgewicht noch einmal die Farbe wechseln wird. Ein multinationaler Klient will die unter 1.000 Kilogramm gewogene Kreation zwar unbedingt, er bringt jedoch einen Wunschton mit und erhält schließlich, was ihm gefällt. (Fast) Dasselbe gilt für den „fröhlichen“ Neuaufbau, dessen Formen ein wenig anders verlaufen als bei der Leichtbau-Variante mit „Entenbürzel“. Die Kotflügel-Verbreiterungen laufen nach unten spitzer zu, alles wirkt austariert, edel und in sich stimmig. Die Wucht, mit der Helvetiens Antwort auf Singer und Kollegen beim Tritt auf das Pedal rechtsaußen losbricht, ist unter Zürichs Scheinwerferlicht kaum zu erahnen. Urs Erbacher führt Interessierten den Aha-Effekt allzu gerne vor, und seine Tochter India Erbacher ist angetreten, es ihrem Vater gleichzutun. Die Endzwanzigern ist mit 513 Kilometern pro Stunde die schnellste Frau der Welt, mit dem „Top Fuel“-Dragster der Familie verwachsen und längst auf dem sportlichen Level ihres Vaters unterwegs. Die „Auto Zürich“ macht sie im –teuflisch? – roten Abendkleid zu ihrer Bühne, während eine Etage tiefer Geigenmusik zu Discobeats erklingt – Schweizer Lifestyle, wie schon in Arosa miterlebt. Zufall oder nicht, trifft ihr Kleid exakt den Rotton des Interieurs des neuesten Erbacher-911 gleich neben ihr. Das Besondere an Vater und Tochter ist, dass niemand, wirklich niemand, ihnen eine bewusste Orchestrierung unterstellen würde. Im Gegenteil: Sie sind sich selbst treu geblieben und dabei stets ein bisschen rebellisch, vielleicht ist das ihr eigentliches (Erfolgs-)Geheimnis.
„Maritimblau“ trifft Pfütze: Was wie die Installation eines Kunstschaffenden anmutet, ist in den Tagen nach der „Auto Zürich“ die Realität des Novembers. Ausgerechnet in dieser eher trüben Lichtstimmung zeigt der rückdatierte 964er, warum es Restomod und Backdate eigentlich gibt. Diese hybriden Wesen sind wieder Fisch noch Fleisch, sie sind weder Rennwagen noch Coffee Racer. Vielmehr sind sie eine eigenständige, höchst lebendige Spezies, die den Pulsschlag beschleunigt und auch an Regentagen gute Laune macht. Dazu sind die geschaffen worden, auch wenn sie bei aller Schönheit den harten Kern eines GT3-Boliden in sich schlummern lassen. Und endlich wird dem Chronisten bewusst, was Urs Erbacher mit seinem „fröhlichen Auto“ tatsächlich gemeint hat. Man muss nicht zwingend ein Dutzend mal in die Schweiz reisen, um das zu begreifen. Und das Schweizer Brauchtum an Halloween, worauf bezieht sich das jetzt? Vielleicht auf die Erkenntnis, dass Fröhlichkeit der Schlüssel zum Umgang mit Gruselgestalten, mit Hexen, Skeletten und Gespenstern ist? Oder zur Not eben auch ein „fröhliches Auto“. Wie im richtigen Leben.
Verantwortlich für den Inhalt: netzwerkeins GmbH, Carsten Krome
Fotografie: Roman Linder, 2vision.ch
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