nine // eleven essentials
Bleiben wir im Filmgenre – diesmal geht es um „The Italian Job“, übersetzt: „Charlie staubt Millionen ab“. Dabei handelt es sich um eine britische Filmkomödie, die 1969 unter der Regie von Peter Collinson entstanden ist. Die Handlung ist …übersichtlich: Nach seiner Haftentlassung plant der Meisterdieb Charlie Croker mit dem alternden Gauner Bridger einen Goldraub in …Turin. Bei der Umsetzung des Vorhabens sollen sowohl die italienische Polizei als auch die örtliche Mafia durch ein spektakuläres Verkehrschaos in die Irre geführt werden. In präparierten Minis und mit Hilfe eines Computerexperten gelingt es der Bande schließlich, zu entkommen.
Mit einem Bus fliehen die Gangster über die Alpen und feiern schon ihren Triumph, als das Gefährt durch einen Fahrfehler von der Straße abkommt. Das Heck des Busses, in dem sich auch das Gold befindet, schwebt über dem Abgrund, und die Truppe versucht, durch geschicktes Ausbalancieren an die Goldbarren zu kommen. Doch je näher Charlie zu den Goldbarren robbt, desto weiter rutschen sie nach hinten. Schließlich dreht er sich um und ruft: „Jungs, bleibt ruhig so stehen, ich habe eine tolle Idee!“. Mit diesem Cliffhanger endet der Film.
Und was hat das alles mit Urs Erbacher zu tun? Strenggenommen erst einmal gar nichts. Der charismatische Eidgenosse führt der automobilen Welt seine neueste Backdate-Kreation vor, wie üblich auf einem der 911 Carrera 2 der Generation 964 aufbauend und im Laufe des Modelljahres 1993 als eines der späten Exemplare seiner Gattung ausgeliefert. Natürlich ist eine solche Basis heute ein hochrangig gehandeltes Schmuckstück für sich, für das am Markt nicht wie ein Gebraucht-Sportwagen gesehen wird, sondern vielmehr wie eine Preziose von besonderem Wert. „Der besaß bereits eine ordentliche Bremse und schien für unsere Zwecke genau richtig zu sein.“ Das Backdate-Projekt lief vor fünf Jahren an, es fiel in die Zeit eines Betriebsumzuges an den heutigen Standort in Dornach. Und noch etwas war kennzeichnend für diese Zeit des Umbruchs. Der Anspruch, eine ganz eigene Formensprache zu entwickeln, führte nach Italien, in eine traditionelle Stadt der Automobilindustrie. Natürlich haben sich in Reichweite der großen Autowerke dort auch hochspezialisierte Zulieferer angesiedelt, die sich zum Beispiel mit moderner Verbundfasern-Technologie auskennen. Ahnen Sie bereits, von welcher Stadt hier die Rede sein könnte? Richtig, Sie haben ja die Einleitung und den (örtlichen, aber keineswegs inhaltlichen) Verweis auf den Filmklassiker „The Italian Job“ gelesen – und mehr will Urs Erbacher auch nicht preisgeben. „Wir arbeiten dort mit guten Professionals aus dem Motorsport zusammen“, offenbart er dann doch, „die den hohen Qualitätsanspruch aus unserem Dragracing erfüllen.“ Um es an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen: Die Erbachers – Vater Urs und Tochter Jndia treten inzwischen als schwer schlagbares Duo auf – bringen es zusammen auf sieben Europameistertitel in der Königsklasse, der „Top Fuel“-Kategorie. Was also lag näher, als das gesammelte Know-how auf das heutige Backdating zu übertragen? Erbacher fasst zusammen, worum es ihm geht: „Die Ästhetik, das Design, beides steht an erster Stelle. Unsere Kunden wünschen sich Exklusivität, ein bisschen Kreativität natürlich auch, in erster Linie aber saubere Formenverläufe und gleichmäßige Spaltmaße – das alles muss schon passen, und Kohlefaser kann man nun einmal nicht mit Karosseriespachtel in eine Form bringen. Das würde unserem ‚Erbacher911‘ auf keinen Fall gerecht.“ Inzwischen hat er bei einem italienischen Zulieferer angedockt, dessen Kompetenz die Fertigung von Karbon-Fahrgestellen für den modernen Prototypen-Rennsport umfasst. Zu weiteren Andeutungen lässt er sich nicht hinreißen.
Umso auskunftsfreudiger ist er, geht es um die weitere Entstehungsgeschichte des sonnengelben Neuwagens, der vom 3.9 Liter großen Sportmotor des langjährigen Entwicklungsparters egmo – ausgeschrieben steht das für Lothar Rothenheber und seine Eggenberger Motorenbau AG mit Sitz im schweizerischen Lyss – angetrieben wird. Eigentlich ist die Peripherie bereits auf die Vollversion mit 4.3 Litern Hubraum vorbereitet, auch die entsprechende Homologation ist so vorgenommen worden. Doch der Kunde hatte nach erfolgtem Zusammenbau erst einmal nur eine kleine, unverbindliche Proberunde drehen und sich nicht weiter festlegen wollen. „Unser Handwerk braucht seine Zeit“, weiß Urs Erbacher zu berichten, „und dieses eine Projekt dauerte halt etwas länger – da sind wohl erst einmal Vorstellungskraft und Motivation auf dem längeren Weg abhanden gekommen.“ Nach der Probefahrt war der anfangs etwas reserviert scheinende Klient plötzlich wie ausgewechselt: „Dieser ‚Erbacher911‘ ist einmalig, faszinierend, wunderschön – den gebe ich nicht wieder her!“ Für den Erbauer war das zwar eine Auszeichnung, aber auch keine wirkliche Überraschung. Er hat den Brückenschlag vom Neunelfer-Backdating zum aktiven Motorsport im Gegensatz zu anderen Akteuren in der Branche längst vollzogen. Beim international beachteten „ClassicCar“ im Schweizer Wintersportort Arosa setzt er sich selbst hinter das Volant seiner Kreation und nimmt Jahr für Jahr am (Berg-)Rennen gegen die Uhr teil. Die an ihn selbst gestellte Vorgabe: Die 76 Kurven, verteilt auf 7.3 Kilometer und eine Höhendifferenz von 422 Metern, die muss er unter fünf Minuten schaffen – mit einem für die Straße zugelassenen Fahrzeug aus eigener Fertigung. Dabei vertraut er auf den großen Motor mit 4.3 Litern Hubraum, der nicht mehr weit von einer anderen Vorgabe entfernt ist: 100 Pferdestärken pro 1.000 Kubikzentimeter. Dennoch bleibt die schnelle Bergfahrt nach Arosa auch für einen sechsfachen Europameister des Beschleunigungssports eine Aufgabe, die es erst einmal zu bewältigen gilt. „Da geht es natürlich nicht allein um Beschleunigung, sondern um das genau austarierte Zusammenspiel aus Fahrwerk, Bremsen, Rädern und Reifen“, berichtet Urs Erbacher, „wir haben viel gelernt in Arosa und auch auf der Nürburgring-Nordschleife. Davon profitieren unsere Straßenkunden in besonderem Maße, wenn sie zu früher Morgenstunde zu einem unserer heimischen Alpenpässe aufbrechen.“
Nach dem bewährten Bauplan – umgeschweißte Fuchs-Felgen in 17-Zoll-Formaten, Vierkolben-Leichtmetall-Bremssättel der Marke Brembo, gelochte, innenbelüftete Scheiben, Öhlins-Gewinde-Sportfahrwerk – ist auch der sonnengelbe Neuzugang im Werkverzeichnis konfiguriert worden. Das Interieur versprüht ein klassisches Ambiente: Leder in zwei Brauntönen, überhöht von einem weißen Dachhimmel. Die Sitzmittelbahnen bringen darüber hinaus die Farben Grün und Schwarz in einem zeitgenössischen Muster ins Spiel: mehr Zeitreise denn schlichte Inneneinrichtung. Der Blick nach vorn durch die Windschutzscheibe wird von einem dunkelbraunen Glattleder dominiert, das sich über das MOMO-Dreispeichen-Lenkrad und die Oberschale des Armaturenträgers zieht. Das alles wirkt sehr klassisch, immer wieder unterbrochen durch moderne Elemente wie das Navigationsradio oder die neuen Drehschalter. Eine Retrospektive sind dagegen die grün gefärbten Ziffern der Rundinstrumente: ein Gesamtkunstwerk, zu dem nicht zuletzt die Rauten-gesteppte Abdeckung vorn im Gepäckraum zählt. Urs Erbacher sagt, er finde das Interieur „wunderschön“, und damit hat der Eidgenosse Recht: Alles ist von kundiger Hand komponiert worden und mit einem Projektnamen versehen worden, der an die irrwitzige Beschleunigung eines „Top Fuel“-Dragsters erinnert: „Lightning Yellow“. Übersetzt: so schnell wie der Blitz. Ähnlich ist auch der Blitz beim heutigen Eigner eingeschlagen, der schon nach wenigen Kilometern restlos begeistert war von einem Neunelfer, der am 17. Juni 1993 erstmals zugelassen worden ist und nun ein zweites Dasein als Carrera 2 mit Besonderheiten führt. Und die cineastische Anspielung zu Beginn? Die bezieht sich, wie eingangs erwähnt, auf die traditionelle Autostadt im Nordwesten Italiens, die vom Schweizer Kanton Solothurn in einer erreichbaren Entfernung liegt. Weitere Entwicklungs- und Ausbaustufen im Köcher? „Sicher!“, sagt der Maestro, der in einem früheren Lebensabschnitt Motorrädern eines großen, US-amerikanischen Herstellers ein ganz eigenes Flair angedeihen ließ und seitdem „Customizer“ ist – Möglichmacher aus Leidenschaft. Was er in naher Zukunft zusammen mit seinem Motoren-Adlatus aus dem Berner Seenland möglich machen wird, bleibt vorerst ein (kleines) Geheimnis. Noch ein weiteres, möchte man hinzufügen.
Verantwortlich für den Inhalt: netzwerkeins GmbH, Carsten Krome
Fotografie: makuna.ch, Sascha Muoth
Fahrzeugtyp: 1993er Erbacher911 (Generation 964) Carrera 2 Coupé egmo 3.9
Modelljahr: 1993 (P-Programm)
Karosserie (Serienumfang bei Werksauslieferung): 2-türige, 2+2-sitzige, selbsttragende Coupé-Karosserie aus beidseitig feuerverzinktem Stahlblech
Aufbau der Karosserie (Erbacher911): Frontschürze Typ Erbacher ERB-ST-VO; Seitenschürzen Typ Erbacher ERB-SCHW-L (links) und ERB-SCHW-R (rechts); Heckschürze Typ Erbacher ERB-ST-H; Frontschürzenansatz Typ Erbacher ERB-ST-VU; Kotflügel vorne Typ Erbacher ERB-KOT-L (links) und ERB-KOT-R (rechts); Innenkotflügel vorn (zweiteilig) Typ Erbacher ERB-IK-VL (links) und ERB-IK-VR (rechts); Innenkotflügel hinten Erbacher Typ ERB-IK-HL (links) und ERB-IK-HR (rechts); Haube vorn Erbacher Typ ERB-HAU; Haube hinten Erbacher Typ ERB-DECH; Tankdeckel Erbacher ERB-T 950; Stahlrohr-Überrollbügel Typ dp Motorsport
Motor (Werksauslieferung): luftgekühlter Sechszylinder-Boxer Typ M 64/01; zwei Ventile pro Zylinder; jeweils eine Nockenwelle pro Zylinderbank (ohc, Antrieb über Doppelkette)
Aufbau des Motors (Eggenberger Motorenbau AG, egmo): komplette Revision; Umbau auf 3.9 Liter Hubraum; Original-Kurbelwelle (feingewuchtet); egmo-Kolben-und -Zylindersatz; Original-Stahlpleuel im I-Profil; GT3-Ölpumpe; Kurbelgehäuse mechanisch bearbeitet und verstiftet; Zylinderköpfe mit vergrösserten Ventilen, mechanisch bearbeitet; egmo-Spezial-Nockenwellensatz Typ 964; individuelle Motorabstimmung auf dem egmo-Motorenprüfstand
Gemischaufbereitung (neu): egmo-Motorsteuerung, voll sequenzielle Zünd- und Einspritzsteuerung mit „Drive-by-Wire“-Funktion; adaptive Kennfeldsteuerung
Zündung: ruhende Hochleistungs-Zündanlage über Einzelfunkenspulen und externer Zündendstufe
Ansauganlage (neu): egmo-Ansaugsystem mit Einzeldrosselanlage, „Drive-by-Wire“ mit egmo-Karbon-Airbox
Abgasanlage (neu): egmo-Komplettanlage mit abgestimmten Fächerkrümmern und Sport-Katalysatoren, bankselektiver Lambdakontrolle sowie Endschalldämpfer
Ölmenge (Werksauslieferung): 11,5 Liter
Hubraum (Werksauslieferung): 3.600 ccm
Bohrung x Hub (Werksauslieferung): 100 mm x 76.4 mm
Hubraum (neu): 3.894 ccm
Bohrung x Hub (neu): 104 mm x 76.4 mm = 3.894 ccm
Verdichtung (neu): 11.8 : 1
Motorleistung (Werksauslieferung): 250 PS bei 6.100/min
Motorleistung (neu): 364 PS bei 6.600/min
maximales Drehmoment (neu): 399 Nm bei 5.300/min
Kraftübertragung (Werksauslieferung): Fünfgang-Schaltgetriebe Typ G50
Bremsanlage (neu): Brembo-Aluminium-Vierkolben-Festsättel; innenbelüftete, gelochte Brembo-Scheiben; Stahlflex-Bremsleitungen Typ Goodridge vorn und hinten
Radaufhängungen (neu, vorn): einzeln an Querlenkern und Öhlins- Schraubenfederbeinen (gelb) aufgehängte Räder; verstärkter H&R-Stabilisator; Öhlins-Domlager; Zahnstangen-Servolenkung
Radaufhängungen (hinten): einzeln an Schräglenkern aufgehängte Räder; verstärkter H&R-Stabilisator; Öhlins-Schraubenfedern-Fahrwerk (gelb)
Räder (neu): dp Motorsport im „Fuchs“-Design (8.5J x 17 ET 41 mm vorn und 11J x 17 ET 20 mm hinten)
Distanzscheiben (H&R): 35 mm Dicke vorn und 32 mm Dicke hinten
Reifen (neu): Michelin „Pilot Sport“ (205/50 ZR 17 vorn und 255/40 ZR 17 hinten)
Interieur: individuelle Sonderausstattung; Momo-„Prototipo“-Dreispeichen-Volant; revidierte Rundinstrumente mit neuen Zifferblättern
Leergewicht nach DIN 70020 (Original-Werksauslieferung): 1.350 kg
Höchstgeschwindigkeit: 263 km/h (Herstellerangabe)
Beschleunigung (Original-Werksauslieferung, 0 – 100 km/h): 5.7 sec.
Projektverantwortung: Erbacher911 · Weidenstraße 50 · Gebäude 404 · CH-4143 Dornach · Switzerland